Mentaltraining im Triathlon: Den Erfolgsfaktor Psyche gezielt im Wettkampf einsetzen

Derzeit findet im schweizerischen Buchs im Rahmen des swissultra der DoubleDeca continuous statt. Das heißt ein Ultratriathlon über 76 km Schwimmen, 3.600 km Radfahren und 844 km Laufen - nonstop. Neben der körperlichen Fitness spielt die Psyche eine große Rolle, um einen solchen Wettkampf bestehen zu können. In seinem Buch „Go hard or go home“ beschreibt Ultratriathlet Daniel Meier, wie wichtig das Mentaltraining im Triathlon über die mehrfache Langdistanz ist. Nachfolgend ein Auszug dazu: 

Daniel Meier beim swissultra
Daniel Meier beim swissultra

„Wie man seinen Körper trainiert, so trainiert man seinen Geist. Mit dieser Aussage konnte ich lange Zeit nichts anfangen. Selbst dann nicht, als meine Triathlon-Karriere auf der Langdistanz längst den Kinderschuhen entwachsen war. Aber je mehr Rennen ich absolvierte, desto mehr bestätigte sich das folgende Phänomen: Startete ich bei einem Triathlon unter guten Bedingungen – war das Wetter sonnig und die Strecke flach –, dann hatte ich keine Chance, mich gegen gleichstarke Konkurrenten durchzusetzen. War es jedoch kalt, regnete oder schneite es, oder war die Strecke gar mit üblen Anstiegen gespickt, dann konnte ich meine Stärken voll entfalten und lag im Gesamtklassement viel weiter vorne. So erkannte ich allmählich, dass ich zwar körperlich mit vielen nicht mithalten konnte, dafür aber mental offensichtlich weitaus stärker war als die Mehrheit der anderen Athleten.

 

Diese Erkenntnis machte mich zunächst stutzig. Sie veranlasste mich aber auch dazu, das Thema Mentaltraining näher zu beleuchten. Was hatte es damit auf sich? Was genau steckte hinter dem Begriff? Wie funktionierte mentales Training im Alltag? Wie im Sport? Um dies herauszufinden, besuchte ich eine Reihe von Vorträgen und Seminaren, die mich allesamt so sehr fesselten, dass ich mich innerhalb kürzester Zeit entschied, selbst eine Ausbildung zum Mentaltrainer zu absolvieren, die ich an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Winterthur (Schweiz) mit einem Certificate of Advanced Studies in Psychologisches & mentales Training im Sport abschloss.

 

Wie es der Zufall wollte, fiel diese Ausbildung mit meinem Wechsel von der Langdistanz auf die Ultradistanz zusammen. 2009 bestritt ich meinen ersten Triple Ultratriathlon in Lensahn. Weil ich wusste, dass beim Ultratriathlon die mentale Stärke besonders stark zum Tragen kommt, wollte ich mich bei meinem ersten Rennen auf diese Herausforderung gezielt vorbereiten. So musste ich mich plötzlich mit Themen auseinandersetzen, die ich in dieser Form vom Kurzdistanz-Triathlon nicht kannte: Wie kann ich bei einem Triple die Müdigkeit überwinden? Wie unter Schlafentzug die richtigen Entscheidungen treffen, die über Erfolg oder Misserfolg entscheiden? Wie kann ich die Monotonie des Ultrakurses bewältigen, was für sich genommen schon eine Extrembelastung ist? In all den Jahren zuvor, in denen ich bei Triathlon-Rennen an den Start ging, habe ich mich körperlich immer gequält und lediglich die mentalen Ressourcen abrufen können, die mir von Natur aus zur Verfügung standen. Erst seit ich Ultratriathlon mache, nutze ich die enorme Vielfalt der mentalen Möglichkeiten und wurde in der Folge bei jedem einzelnen Rennen von meiner eigenen Leistungsfähigkeit mehr als überwältigt.

 

Go hard or go home - Faszination Ultratriathlon
Go hard or go home - Faszination Ultratriathlon

Run, Forrest, run: Meine eigenen Anfänge im Mentaltraining

 

Nachdem ich zunehmend fasziniert war von mentalem Training, nahm ich mir die nötige Zeit, mich mit mir selbst auseinanderzusetzen. Der Eckpunkt, den ich bearbeiten wollte, waren die Schmerzen in meinen Beinen, die insbesondere beim Laufen auftraten. Dabei erkannte ich, dass ich eher der visuelle Typ bin. Es gibt mir viel mehr Kraft, starke, ausdrucksvolle Bilder zu sehen, als einfach nur etwas zu hören oder mir einen Text durchzulesen. Ich spürte, dass ich daraus deutlich mehr Motivation ziehen konnte und deutlich energiegeladener war, wenn ich mit Bildern arbeitete oder diese visualisierte. Das wurde mir ganz konkret bewusst, als ich zum ersten Mal den Film Forrest Gump anschaute. In einer Schlüsselszene wird der junge Forrest, der mit Schienen an beiden Beinen kaum gehen kann, hinterrücks von anderen Kindern mit Steinen beworfen und lautstark beschimpft. Als sich Forrest umdreht, trifft ihn ein weiterer Stein so hart an der Stirn, dass er stürzt. Ich war gespannt auf seine Reaktion: Forrest könnte fliehen, weinen, vor Schreck erstarren oder auch angreifen. In diesem Fall wird ihm die Entscheidung jedoch abgenommen. „Lauf, Forrest, lauf!“, ruft ihm seine Freundin Jenny zu, die ihn vom Boden hochzieht und auffordert, vor den Angreifern wegzurennen. Er geht also mit steifen Beinen los und versucht, so gut es eben mit den Metallschienen geht, vor den Angreifern zu fliehen. Doch die anderen Kinder verfolgen ihn mit ihren Rädern. „Wir kriegen dich schon“, rufen sie. Auch Jenny beobachtet dies und schreit ihm panikartig erneut hinterher: „Lauf, Forrest, lauf!“

 

Also versucht Forrest, schneller zu laufen. Eckig und steif setzt er einen Fuß vor den anderen. Hier beginnt der Film nun, sein Tempo zu verringern, um in Zeitlupenaufnahme die Emotionen zu verstärken. Wieder der Satz „Lauf, Forrest, lauf“ – und je weiter Forrest läuft, desto besser kann er sich bewegen. Durch die schnelle Bewegung beginnen sich die Schienen zu lösen – bis sie schließlich mit einem Scheppern komplett gesprengt werden. Mit dieser Befreiung läuft Forrest immer schneller. Auch die Verfolger registrieren nun verdutzt, dass sie nicht näher herankommen, sie bremsen ab und werfen ihre Räder wütend auf die Straße. Doch Forrest bekommt von all dem nichts mit. Er läuft und läuft – und in Rekordgeschwindigkeit schließlich allen davon.

 

Dieser Satz: „Lauf, Forrest, lauf!“ hatte vor allem in der englischen Version „Run, Forrest, run!“ eine nachhaltige Wirkung auf mich. Das Sprengen der Beinschienen ist ein starkes Sinnbild für die Befreiung von Schmerzen. Beides blieb tief in meiner Erinnerung haften, also beschloss ich, diesen Schlüsselsatz für mein Mentaltraining zu übernehmen. Ich schnitt die für mich wichtigsten Momentaufnahmen dieses Films auf eine kurze Sequenz zusammen und schaute sie so oft ich konnte an. Schließlich begann ich, damit zu arbeiten. Mittels autogenen Trainings brachte ich mich regelmäßig in eine tiefe Entspannung, visualisierte die Bilder des Films vor meinem inneren Auge und prägte mir den Satz mit den damit verbundenen Emotionen ein. Ich hörte den Satz „Run, Forrest, run!“, sah, wie meine Angreifer – die anderen Athleten – mich verfolgten und verspürte dadurch einen intensiven Adrenalinkick. Die Aufforderung zum Laufen wird durch das eindringliche, verzweifelte Schreien von Jenny noch weiter verstärkt. Schließlich sprengte auch ich meine Ketten und konnte befreit und schneller als je zuvor laufen. Das tat ich so oft, bis sich diese Sequenz tief in meinem Unterbewusstsein verankerte.

 

Die Methode des Visualisierens ist ein sehr zeitintensives Unterfangen. Aber immer dann, wenn ich fortan diesen Satz hörte, fing ich automatisch an, wie befreit zu laufen, ohne es selbst steuern zu können. Befinde ich mich im Wettkampf in einer schwierigen Situation – beispielsweise, wenn ich über Stunden oder Tage hinweg Schmerzen beim Laufen verspüre – kann ich mich mit genau diesem Satz und den damit verbundenen Gefühlen wieder aufbauen. Aber es gibt noch eine zweite Szene im Film Forrest Gump, den ich in mein Mentaltraining einbaute. Als Forrest erwachsen ist, macht er sich auf den Weg und läuft quer durch die USA. Ein Filmteam kommt hinzu und interviewt ihn. „Warum laufen Sie? Laufen Sie für den Weltfrieden? Laufen Sie für die Obdachlosen? Für die Rechte der Frauen? Für die Umwelt? Für die Tierwelt?“ Die verschiedensten Fragen prasseln auf Forrest ein, doch er versteht den Sinn hinter den Fragen nicht. „Ich hatte einfach Lust zu laufen!“, ist seine entwaffnende Antwort.

 

Ich hatte einfach Lust zu laufen!

 

Dieser Satz hat für mich einen wichtigen philosophischen Hintergrund. Die Athleten, die während eines Wettkampfs aufgeben, haben die Frage nach dem Warum für sich nicht ausreichend beantwortet. Wenn ich im Wettkampf tief in einer Krise stecke, kommt zwangsläufig die Frage nach dem Warum auf. Warum mache ich das eigentlich? Warum quäle ich mich? Warum liefere ich mich diesen Schmerzen aus? Wenn ich mir hierzu keine vernünftige Antwort geben kann, ist die Gefahr des Aufgebens sehr, sehr groß. Daher sollte man darauf gut vorbereitet sein.

 

Die Antwort „ich hatte einfach Lust zu laufen“ ist damit verbunden, dass ich glücklich bin mit dem, was ich tue. Also muss ich es dementsprechend nicht weiter hinterfragen. Das trifft übrigens auch heute noch auf mich zu. Das Glücksgefühl „einfach zu laufen“ hat mich stets begleitet und ist stark in mir verankert. Hätte ich keinen Spaß daran, mich beim Ultratriathlon zu quälen, würde ich das mit großer Sicherheit auch nicht tun. Wenn ich in eine Motivationskrise gerate – sei es im Wettkampf oder im Training –, dann halte ich mir genau diese Aussage vor Augen: Ich habe Lust darauf! Ich möchte genau das tun, was ich mache! Ich bin glücklich dabei!"

 

Das gesamte Kapitel "Mentaltraining" gibt es als Gratis-Download:

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MENTALTRAINING: DEN ERFOLGSFAKTOR PSYCHE OPTIMAL EINSETZEN
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Ultratriathlon mag verrückt klingen, dennoch – oder gerade deshalb – begeistern sich immer mehr Sportler dafür. Denn Wettkämpfe über die mehrfache Langdistanz sind mehr als nur eine körperliche Herausforderung – sie erfordern intensives Wissen über den eigenen Körper, ein hohes Maß an Disziplin und vor allem große mentale Stärke.

 

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