New York Marathon – The Race is on!

Lesen kann man an den spannendsten Orten der Welt! Frank Lauenroth, Autor der Marathon-Thriller „Boston Run“ und „New York Run“ (pssst, nicht verraten,  demnächst auch „Chicago Run“), hat seinen „New York Run“ an den Schauplatz der Handlung nach New York City mitgenommen.

 

Ein Marathonerlebnis von Frank Lauenroth


Am Morgen des New York Marathons 2018 hatten wir den Wecker auf 5 Uhr gestellt, denn bereits um 5:45 Uhr sollten wir uns in der Lobby des Hotels treffen. Um 6 Uhr sollte der Bus losfahren und uns hinüber nach Staten Island bringen, dem ersten der 5 Stadtbezirke, die wir heute noch betreten sollten.

 

Allerdings stand just vom Samstag auf den Sonntag die Zeitumstellung in Amerika an, und obwohl wir uns mehrfach gesagt hatten, dass wir durch das Zurückdrehen der Uhr eher zu früh als zu spät dran sein würden, meinte die innere Uhr, dass wir zur Sicherheit mal schon halb Fünf erwachen müssten.

 

Da wir aber noch die Laufsachen wählen mussten (bis zuletzt war uns nicht recht klar, mit wie vielen Schichten wir laufen sollten), war die extra halbe Stunde gut investierte Zeit. Ich entschied mich für 4 Schichten. Klingt viel, aber der Lauf sollte bei lauschigen 5 Grad Celsius starten und sich dann auf maximal 7 Grad hocharbeiten. Immerhin sollte die Sonne scheinen. Ich kann schon jetzt sagen: Alles richtig gemacht. Meine Freundin lief in kurzen Hosen, aber mit drei Schichten oben rum. Das wurde später ausgedünnt.

 

Bevor es aber soweit war, mussten wir warten. Zwar waren wir kurz nach 7 Uhr in unserem Aufenthaltsareal (wir hatten Orange, genau wie meine Helden im Buch!), allerdings starteten wir erst mit der vierten und somit letzten Wave … um 11 Uhr.

 

Wir hatten uns auf Empfehlung der Reiseleiter mit den üblichen Schichten Altklamotten ausgestattet, um während der Zeit des Wartens nicht auszukühlen. Diese Wegwerfsachen werden (ebenfalls in langjähriger Tradition) gesammelt und später Obdachlosen und anderen Bedürftigen in New York gespendet. Eine gute Idee, wie ich finde.

 

Der Aufenthalt wurde uns im wahrsten Sinne versüßt. Kostenlose Bagels, Kaffee, Gatorade und Powerbars sorgten für Kräftigung und Ablenkung zugleich. Toiletten waren mehr als reichlich vorhanden, und auch die Klopapierfrage stellte sich nicht. Wieder einmal war alles top organisiert.

 

Dann endlich folgte der Aufruf für unsere Wave, sich in die entsprechenden Corrals zu begeben, was wir voller Vorfreude taten. Der orangene Corral würde seinen Weg über die obere Etage der Verrazano-Narrows-Bridge, auf der linken Seite finden, ergo mit freiem Blick auf die Südspitze von Manhattan. Eine Stadtführung hätte nicht besser beginnen können.

 

Nach den üblichen Ansprachen, der Vorstellung altgedienter Laufveteranen, einem Grußwort der Veranstalter und der wieder live intonierten Nationalhymne ging es unter den Klängen von Frank Sinatras ‚New York, New York‘ endlich los.

 

New York City Marathon 2018 – the race is on!

 

Staten Island war damit bereits Geschichte. Nach 3 km gelangten wir wieder von der Brücke und über verschlungene Pfade (der grüne und der blaue Corral nahmen andere Wege und erst auf der Fourth Avenue führten alle 3 zusammen) nach Brooklyn.

Kannten wir bislang nur Manhattan mit seiner eher vertikalen Bauweise, so war dieser Stadtteil erfrischend flach. Noch viel besser als die Architektur gefiel uns aber (wieder einmal) die Begeisterungsfähigkeit der Zuschauer.

 

Wir hatten uns unter unsere Startnummern in großen Lettern unsere Vornamen angeheftet und so hörten wir (zumindest wenn wir am Rand der Menge liefen) alle zwanzig Meter ‚go Frank, go Siggi (meine Freundin)‘ und dann wieder ‚you’re awesome‘ und so weiter und so fort.

 

Die Welle der Anfeuerungen sollte uns eine ganze Weile tragen und uns natürlich trotz aller Warnungen im Vorfeld das Rennen zu schnell angehen lassen.

 

Bereits jetzt – da noch nicht einmal Kilometer 5 erreicht war – spürte ich einen deutlichen Unterschied zu all meinen Trainingsläufen auf Asphalt und Waldboden … hier gab es nur Beton. Nur, wer einmal auf Beton gelaufen ist, merkt, wie ‚federnd’ Asphalt dagegen ist. Der Beton jedoch schluckte jegliche Energie wie ein schwarzes Loch. Schon jetzt musste ich um meine Knie fürchten – die sozusagen meine Sollbruchstelle darstellen.

 

Aber noch waren die Kräfte frisch und das Adrenalin auf Maximum. Also nicht murren und frisch voran gestürmt. Alle vier Blocks gab es eine Live-Band und allein für dieses Feeling hatte sich der ganze Reisestress und Trainingsaufwand gelohnt.

 

Ja – so hatte ich mir den New York City Marathon vorgestellt!

 

Natürlich verflog die anfängliche Euphorie mit den zurückgelegten Kilometern etwas, und es stellte sich die Routine des langen Laufens ein. Abgesehen davon mussten wir immer wieder auf den Untergrund aufpassen. Das eine oder andere Schlagloch musste ebenso wie immer noch fortgeworfene Handschuhe, Mützen und Schals umkurvt werden.

 

Seit Meilenstein Drei gab es an jeder Meile Wasser (Poland Spring, welches sehr lecker, aber leider aufgrund der Fördermethoden Nestlés eher fragwürdig war), Gatorade (Frost – ein super leckeres Zeug!), sowie 5 bis 8 Toiletten. Anfänglich bildeten sich dort längere Schlangen. Wer weiter lief, wurde mit kürzeren Anstehzeiten belohnt. Wir nahmen jede zweite Wasserstelle mit, gingen auch ein paar Meter, aber reihten uns rasch wieder ein. Wir waren immer noch im Flow.

 

Brooklyn zog sich ein ganzes Stück. Das wussten wir vorher. Aber es ist eines, das zu wissen und etwas anderes, das zu erleben. Immerhin konnten wir uns damit trösten, dass, wenn wir Queens (als dritten Stadtteil) erreichen würden, wir auch schon an der HM-Marke sein würden.

 

Es gab in Brooklyn noch ein paar enge Passagen. Da mussten wir höllisch aufpassen. Die Zuschauer standen teilweise so eng, dass ich mir wie bei der Ankunft auf einer Bergetappe der Tour de France vorkam. Es wurde gerufen und angefeuert, gesungen und gejubelt. Die Amis gaben uns das Gefühl, etwas Besonderes zu vollbringen. Es gibt wenig Worte, die das Gefühl angemessen transportieren können. Ich fand es einfach ‚geil‘!

 

Bei KM 20 meldeten sich dann zum ersten Mal meine Knie. So recht wollte ich es nicht wahrhaben, dass mir die Gelenke den Spaß verderben sollten, aber nach ein paar Streckungen und Dehnungen ging es erst einmal weiter. Die Pulaski-Bridge nach Queens hinein war steil, aber noch machbar. Die Queensboro-Bridge ein paar Kilometer weiter (die den Kurs zum ersten Mal nach Manhattan hinüberführte) war dann aber ein anderes Kaliber. Hier sah man deutlich, wer noch Körner hatte. Die Auffahrt (für uns der Aufstieg) war eine extrem langgezogene Steigung. Ich nutzte die Chance und marschierte hinter meiner Freundin her. Bereits hier zeigte sich, dass sie die deutlich bessere Tagesform abbekommen hatte.

 

So langsam half alles Dehnen und Strecken nicht mehr und in Manhattan angekommen, auf der First Avenue, forderte ich meine Freundin auf, schnellstens davon zu laufen. Es machte keinen Sinn, dass sie auf mich wartete. Mit der Erkenntnis, dass ich das Ganze nun allein wuppen musste und es noch ein ziemlich langer Weg ins Ziel werden würde, verflog auch der letzte Rest Adrenalin, und die erste Erschöpfung wurde deutlich spürbar. Ich beschloss, erst einmal zu gehen und mich zu erholen. Von nun war ich auch an jedem Gatorade- und Wasser-Stand zu Gast und trank die Mischung gierig aus.

 

Die ‚Go Frank‘ ließen nicht nach und irgendwann kurz vor der Bronx kam ich auch wieder ins Laufen. Zwar hatte ich mich einigermaßen erholt, aber die Knie wollten immer noch nicht mitspielen. Da ich unbedingt ins Ziel wollte, haushaltete ich mit der Belastung und versuchte so knieschonend wie möglich voranzukommen. Meilenstein, trinken, gehen, wieder antraben, schauen was geht, vorsichtig weiter. Meilenstein …

 

So ging es dann auch so langsam wieder. Die Bronx wird mir leider als trauriger Tiefpunkt dieses Events in der Erinnerung bleiben. Zum einen, weil dieser Stadtteil architektonisch grau und traurig wirkte, aber auch weil hier wenig Zuschauer am Rande der Strecke standen. Die Straßen wirkten leer und düster, trotz des immer noch strahlenden Sonnenscheins. Das Wetter war wirklich der Verbündete aller Marathonläufer an diesem Tag.

 

Zurück in Manhattan und somit auf dem verlängerten Zielschuss der Fifth Avenue angekommen, kehrte auch langsam die Euphorie zurück, dass ich es trotz meiner persönlichen Widrigkeiten in den Central Park schaffen würde.

 

So konnte ich es dann tatsächlich genießen, als ich in Harlem am Meilenstein 22 wirklich die Toiletten vorfand, die ich in meinem Buch ‚New York Run‘ 6 Jahre zuvor recherchiert und als wichtigen Handlungspunkt etabliert hatte. Von nun an ging es wieder besser voran. Zwar stieg die Fifth Avenue ab Meile 23 stetig an, der Beton fühlte sich immer noch mörderhart an, aber ich wollte nun natürlich nicht mehr aufgeben und kämpfte mich von Meilenstein zu Meilenstein.

 

Als der Kurs dann in den Central Park abbog, hatte ich eine erste Träne im Auge.Ich wusste, dass ich es schaffen würde … und dass die Erlösung für meine geschundenen Knie nicht mehr fern wäre. Die letzten Kilometer zogen sich dann allerdings und ich musste mit dieser neuen Energie immer häufiger anderen Fußgängern ausweichen (laufen konnte jetzt nur noch die Minderheit).

 

So langsam erreichte ich den Bereich des Central Parks, den ich vom vortäglichen ‚Dash to the finish‘ kannte und so konnte ich die letzten Kräfte mobilisieren und zumindest ohne weitere Pause bis zur Ziellinie (nach einer letzten Steigung!) durchlaufen.

 

Ja, und dann war es tatsächlich vollbracht.

 

Unter den Anfeuerungsrufen der Zuschauer im zielnahen Bereich und den euphorischen Beschwörungen der Lady am Mikrofon „Yes, you did it!“ erreichte ich das Ziel des New York City Marathons 2018. Ich weiß, ich neige zu Wiederholungen, aber es war … GEIL!

 

Okay, ich hatte es also geschafft.

 

Noch schnell ein Selfie mit dem Handy und kann mir jetzt mal jemand die erhoffte Medaille reichen? In der Tat standen rechts und links und auch in der Mitte des Post-Race-Schlauches, durch den alle Finisher mussten, zahlreiche Helfer und Helferinnen mit Medaillen. Die meisten drückten den erschöpften Läufern ihre Medaille in die Hand. Ich steuerte auf eine ältere Dame mit Brille zu, beugte mich leicht nach vorn und die Frau hängte mir die Belohnung um den Hals. Ich bedankte mich artig und strebte als nächstes den Silberfolien zu, die sich alle gegen die drohende Auskühlung umhängen durften. Tatsächlich dämmerte es nun schon wieder und damit wurde es auch rasch kühler.

 

Abgefangen wurde ich von einer Fotografin, die mir mit ihrer Art noch einmal ein Lächeln aufs Gesicht zauberte und das so zum besten der später online auswählbaren Bilder führte.

 

Dann gab es auch noch einen Finisher-Beutel mit Wasser und Gatorate und einem Protein-Drink, einem Apfel und und und. Sehr schön.

 

Das Wasser aus der Flasche verdampfte auf dem Weg in meinen Magen. Zumindest war mein Durst noch nicht gestillt. Und eine alte Regel besagt, wenn man Durst spürt, ist es eigentlich schon zu spät.

 

Zu gerne hätte ich jetzt den eingezäunten Wanderpfad verlassen, aber die Post-Race-Poncho-Ausgabe war noch ein Stück entfernt. Mittlerweile holte mich die körperliche Erschöpfung ein. Die Glücksmomente wichen so langsam der Erkenntnis, dass ich nur noch schnell unter eine heiße Dusche wollte.

 

Glück ist eben relativ.

 

 

Endlich – der Schlauch hatte über einen weiten Bogen aus dem Central Park auf die Central Park West betitelte Straße geführt – konnte ich den Poncho in Empfang nehmen. Da hier auch das Einscannen der Bib-Nummern (Startnummer) erfolgte (man wollte wohl sicherstellen, dass niemand unterwegs verloren ging), zog sich auch das noch einmal. Aber an das amerikanische Anstellen hatte ich mich schon fast gewöhnt.

 

Geschafft. Draußen. Heimweg.

 

Der New York City Marathon war ab diesem Moment tatsächlich vorbei.

 

Ein Fazit?

 

Ja – es hat sich gelohnt. Der Menschen wegen, der Strecke wegen auch.

 

Aber wenn ich demnächst wieder in Hamburg an der Elbe laufe, auf Asphalt, weichen Waldwegen, harten Steinplatten und auch teilweise Sand, dann werde ich sicherlich ein Schmunzeln auf den Lippen haben. Und meine Knie werden es mir danken.