Patrick N. Kraft

Foto: triaphoto.com
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Größe: 175 cm
Gewicht: 72-78 kg, je nach Jahreszeit
Wohnort: Bochum
Erster Triathlon: 2009 in Buschhütten



Patrick wollte 2010 die Ironman-Distanz in Köln finishen, wurde aber durch einen schweren Radunfall abrupt ausgebremst und aus dem psychischen Gleichgewicht geworfen. Er geriet in eine Ehe- und Sinnkrise, dachte an Selbstmord und wurde mit einer schlimmen Depression in die Klinik eingewiesen. Das alles ist nachzulesen in seinem Buch Mein Weg aus der Depression.

 

Hallo Patrick, wie ist der aktuelle Stand bzw. die Prognose: Bist Du geheilt?
Man kann eigentlich nie sagen, dass man völlig geheilt sei, denn die Gefahr eines Rückschlags besteht prinzipiell besteht immer und liegt offiziell bei etwa 50 Prozent. Aber ich bezeichne mich derzeit als gesund und stabil, wobei kleinere Tiefs – die ja letztlich jeder mal hat – nicht ausgeschlossen sind. An denen arbeite ich dann mit meiner Therapeutin.

 

Manche Sportler bezeichnen ja einen schweren Rückschlag oder eine Krankheit im Nachhinein als „das Beste, was ihnen passieren konnte“. Wie bewertest Du die Depression in der Rückschau?
Also es war mal ganz sicher keine schöne Erfahrung. Aber es stimmt schon: Was einen nicht umbringt, macht einen stärker für künftige Herausforderungen. Und die Krankheit macht einem vieles bewusster, zum Beispiel wo man sich selbst unsinnig verhält, dass es wichtig ist, das Leben mehr zu genießen und nicht immer nur von einem Ziel zum nächsten zu hecheln. Ich nehme mir jetzt vor allem mehr Zeit für das, was mir wichtig ist: meine Familie.

 

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Was hat sich denn durch die Depression in Deinem Leben geändert?
Ich bin in vielen Sachen lockerer geworden. Zwar bin ich immer noch ein Perfektionist, aber wo ich früher immer 120 Prozent erreichen wollte, sind jetzt auch mal 100 Prozent genug. (Lacht.) Und ich bin ausgeglichener geworden. Bei einer Radpanne – vor allem im Wettkampf – wäre ich früher ausgerastet, jetzt nehme ich so etwas eher auf die leichte Schulter und sehe es locker. Außerdem habe ich meine Ansprüche an mich selbst auf ein gesünderes Maß heruntergeschraubt, und dadurch erlebe ich jetzt viel weniger (selbst gemachten) Druck.

 

Und was hat sich für Deine Frau, Deine Kinder, Eltern und Freunde geändert?
Die Beziehung zu meiner Frau ist zwar größtenteils sogar besser als vor der Depression, aber noch nicht immer ganz unproblematisch. Da sind die Erfahrungen aus der Krankheitszeit einfach noch zu frisch in Erinnerung – und diese Zeit war gerade für meine Frau sehr schwer.
Die sonstige Rückmeldung von Freunden und Bekannten ist, dass ich nach der Reha eine positivere Ausstrahlung hätte, und man sehe, dass es mir gut geht. Meinem Chef zufolge bin ich jetzt nachdenklicher und weniger impulsiv als vor der Krankheit.

 

Kennst Du in Deinem Umfeld andere depressive Menschen?
Ja. Einerseits habe ich natürlich in der Klinik und während der Reha andere Depressive kennengelernt, zu denen ich zum Teil auch noch Kontakt habe. Andererseits erwähnen jetzt auch andere Menschen mir gegenüber, dass sie schon mal eine depressive Phase hatten. Dadurch, dass ich kein Geheimnis aus meiner Krankheit mache, fällt es anderen leichter, sich mir gegenüber ebenfalls zu „outen“, weil ein ebenfalls Betroffener ein ganz anderes Verständnis für die Situation hat.

 

Hattest Du auch vor Deiner Erkrankung schon mal mit dem Thema Depression zu tun?
Nein, vorher war mir das Thema völlig fremd. Und ich hätte auch nie gedacht, dass es mich einmal selbst betreffen könnte! Erst als ich die Diagnose kannte, habe ich mich dafür interessiert und dann vor allem im Internet recherchiert. Dort habe ich auch einige sehr hilfreiche Seiten entdeckt und versuche jetzt selbst, anderen zu helfen, die ähnliche Probleme haben.

 

Welche Rolle hat der Sport bei der Erkrankung und bei der Genesung gespielt?
Zunächst einmal hat der Sport lange Zeit für Glücksgefühle gesorgt, und durch diese Serotoninausschüttung hat sich der Beginn der Depression deutlich verzögert. Aber 2009 nach meinem Unfall sind dann all diese Glücksgefühle und die sportliche Bestätigung ausgeblieben, stattdessen war ich frustriert und hatte ständig starke Schmerzen, so dass der Depression Tür und Tor geöffnet war. Erst seit der Reha vor etwa sechs Monaten kann ich wieder schmerzfrei Sport treiben, und auch in einem größeren Umfang. Das hat die Genesung natürlich unterstützt, vor allem, weil ich den Sport jetzt nicht mehr so verbissen betreibe.
Vorher hatte ich einen Trainingsplan, der geschafft werden musste. Jetzt habe ich keinen Plan mehr, sondern trainiere nach Lust und Laune. Okay, der Sport hat mir erst mal zwar das Becken gebrochen (zum Glück nicht gleich das Genick), aber jetzt hilft er mir auch, wieder Spaß am Leben zu haben.


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Würdest Du ambitionierte Sportler als depressionsgefährdet bezeichnen?
Nein, so kann man das nicht sagen. Wer in einem gesunden Maß Sport treibt, empfindet ihn sicher als Glück. Aber wenn Freizeitathleten – so wie ich früher – 15 oder sogar mehr Stunden pro Woche trainieren, dann ist das zusätzlich zu Beruf und Familie auf Dauer in der Regel zu viel. Das wird dann irgendwann extrem anstrengend, beim einen früher, beim anderen später. Je nachdem, wie belastend die anderen Lebensbereiche sich auswirken. Das führt dann aber eher zu Burn-out als zu einer Depression. Erst, wenn dann noch großer Frust oder ein Schicksalsschlag, zum Beispiel im Beruf oder in der Beziehung dazukommt, steigt die Gefahr einer Depression.

 

Wie empfindest Du eigentlich die medizinische Betreuung, die Du erlebt hast?
Die medizinische Betreuung war ganz unterschiedlich. Was meinen behandelnden Arzt und meine Therapeutin angeht, hatte ich großes Glück. Denn es ist leider nicht leicht, einen guten Arzt zu finden, schon gar nicht kurzfristig. Von anderen Patienten weiß ich, dass etliche Therapeuten quasi nur zuhören und nicken, die ziemlich unsensibel oder nicht auf der gleichen Wellenlänge wie der Patient sind. Dann sollte man auf jeden Fall versuchen, einen anderen zu finden. Meine Therapeutin arbeitet jedoch sehr akribisch mit mir und bereitet jedes Gespräch gut vor und nach.
In der Klinik hat die medizinische Betreuung meiner Meinung nach leider zu wünschen übrig gelassen. Zum Beispiel hat das Medikament, das mir zunächst verschrieben worden war, nicht gut angeschlagen. Nach der Einnahme ging es mir eher schlechter als besser. Aber nur auf meine eigene Nachfrage hin habe ich dann ein anderes Präparat bekommen, das deutlich besser gewirkt hat. Auch gab es dort scheinbar keine Absprachen zwischen Ärzten, Therapeuten und Patienten, was kein besonders gutes Gefühl vermittelt. Es gab zwar ein Paargespräch, das mir auch sehr geholfen hat, aber leider nur ein einziges. Ansonsten waren da nur die Gespräche mit den anderen Patienten, die mir allerdings sehr gut geholfen haben. In der Reha hingegen war alles top.
Ein Großteil des Erfolgs war auch die Selbsttherapie, vor allem die Lektüre des Buches „Feeling good“. Das ist leicht verständlich geschrieben und für Patienten nachvollziehbar, keine typische Fachliteratur für Insider. Es ist wichtig, dass man versucht, selbst etwas für sich zu tun und nicht nur auf Hilfe von außen wartet … wobei Antriebslosigkeit ja gerade ein Symptom der Depression ist.

 

Was könnte oder sollte verbessert werden?
Leider gibt es zu viele psychisch kranke Menschen oder zu wenig Ärzte und Therapeuten, je nachdem, von welcher Seite man das sieht. Es werden auf jeden Fall mehr niedergelassene Therapeuten gebraucht. Immerhin beträgt die Wartezeit nicht selten 6 Monate, und bis dahin ist es eventuell zu spät, es sei denn, man bekommt wie ich eine Notfalleinweisung in eine Klinik. Und selbst dann muss man ja noch auf einen freien Platz warten. Auch für einen Termin beim Neurologen wartet man oft 2 bis 3 Monate lang.
Außerdem sind viele Hausärzte nicht gut genug geschult, um die Symptome frühzeitig zu erkennen, so dass die Behandlung zu lange verzögert und die Situation unnötig verschlimmert wird. Immerhin denken rund 80 Prozent der schwer Depressiven über Selbstmord nach, und 15 Prozent setzen ihn in die Tat um!

 

Weißt Du, wie es Deinen ehemaligen Mitpatienten jetzt geht?
Die Erfolge sind zwar etwas unterschiedlich, aber meist doch ähnlich wie bei mir: Prinzipiell geht es ihnen gut mit einzelnen Tiefs bzw. Problembereichen. Wobei es mir im Vergleich wohl besser als den anderen geht. Die Tendenz ist also positiv, aber so bald nach einer Depression schreit noch niemand wieder juchu.
Die Krankheit zu überwinden dauert angeblich genauso lang, wie die Entwicklung der Depression. Auch von daher ist es schlimm, dass die Wartezeiten bei Fachärzten so lang sind. Wichtig ist in jedem Fall viel Geduld. Zum Beispiel war ich nach der Reha total euphorisch und fest überzeugt, dass ab sofort alles bergauf gehen würde, aber ganz ohne Tiefschlag kommt wohl kaum jemand davon.

 

Ist das Leben denn noch irgendwie eingeschränkt?
Nun ja, jeder empfindet ein und den selben psychischen Zustand unterschiedlich. Während es für den einen schon „Heilung“ sein mag, wenn er seinen Beruf wieder ausüben und selbstständig im Alltag zurechtkommen kann, leidet ein anderer dennoch stark unter gelegentlichen Stimmungstiefs und daran, dass er nicht mehr so lebensfroh ist wie zuvor. Ich selbst fühle mich gar nicht mehr eingeschränkt und lebe ein normales Leben.

 

Wie haben eigentlich Außenstehende, z.B. Arbeitskollegen und Trainingspartner, auf die Diagnose reagiert?
Ich habe gar keine besondere Reaktion in Erinnerung, dazu war ich zu sehr mit mir selbst beschäftigt. Der ein oder andere sagte eher etwas wie „das hatte ich auch schon mal“. Am Schwersten war das Ganze ja ohnehin für meine Frau. Wobei für sie die Diagnose, dass ich an Depression litt, gemischte Gefühle hervorrief. Zum einen war sie überrascht, dass ich eben doch nicht so böse und ungerecht war, wie ich mich verhalten hatte, sondern krank. Dadurch hatte sie natürlich die Hoffnung, dass mir nun geholfen und die Lage zu Hause besser würde. Doch dann wurde es ja wegen der suboptimalen Medikamente erst mal schlimmer. Zum anderen machte sie sich Vorwürfe, dass sie an Trennung gedacht hatte und litt unter diesem schlechten Gewissen.

 

Kannst Du anderen einen Tipp für den Umgang mit depressiv gestörten Menschen geben?
Oh ja! Jeder Depressive wünscht sich vor allem Verständnis, wobei man als Außenstehender so eine verzerrte Wahrnehmung kaum begreifen und nachvollziehen kann. Trotzdem ist es wichtig, nicht negativ zu reagieren, den Betroffenen vielleicht einfach mal in den Arm zu nehmen und ihn auf keinen Fall unter Druck zu setzen, er „solle sich nicht so anstellen“. Als ich das Gefühl hatte, meine Familie wollte mich gegen meinen Willen festhalten und zu einem Arzt schleppen, bin ich in Panik geraten und wollte nur noch weg von diesen schrecklichen Menschen.
Auch wenn ich weiß, dass es schwierig ist, sollten Angehörige versuchen, über den eigenen Schatten zu springen, um noch mehr für den anderen da zu sein. Außerdem sollten sie unbedingt versuchen, sich selbst Hilfe zu holen, denn oft ist es schon eine Erleichterung zu wissen, dass es einem nicht allein so geht. Dabei ist es schade, dass es so gut wie keine Selbsthilfegruppen für Angehörige gibt, sondern „nur“ für die Erkrankten.

 

Dann wünsche ich Dir weiterhin alles Gute und viel Spaß bei Deinen künftigen Plänen … und sportlichen Aktivitäten!


(Mai 2012)


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